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Oh oh oh statt Ho ho ho? - Ergebnisse des Teilbandes Computerspiele und Internet der Drogenaffinitätsstudie 2019 der BZgA veröffentlicht

Noch bevor das eine oder andere digitale Geschenk unter dem Weihnachtsbaum lag, veröffentlichte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) am 15.12.2020 die Ergebnisse des Teilbandes Computerspiele und Internet der Drogenaffinitätsstudie 20191. Die Studie ist eine deutschlandweite Repräsentativbefragung von Jugendlichen, welche seit 1973 zu verschiedensten Substanzen und Verhaltensweisen durchgeführt wird. Im Jahr 2011 fand die Nutzung von Computerspielen und Internet erstmals in dieser Reihe Berücksichtigung. An der Studie in 2019 beteiligten sich ca. 7.000 junge Menschen im Alter von 12 bis 25 Jahren. Dabei wurden per Telefoninterview Daten zur Nutzungsdauer und zu den genutzten digitalen Angeboten erhoben sowie Kriterien abgeglichen, die einem riskanten Medienkonsum bzw. einer Medienabhängigkeit zu Grunde liegen.

Demnach ist die Zeit, die Jugendliche mit digitalen Medien verbringen, im Vergleich zu 2015 insgesamt um lediglich 1,5 Stunden auf durchschnittlich 22,5 Stunden pro Woche gestiegen. Jedoch gab es im Altersbereich 18 bis 25 Jahre bei den weiblichen und männlichen Teilnehmern einen deutlichen Anstieg zu verzeichnen. Im Altersbereich 12 bis 17 Jahre nahm nur bei den männlichen Teilnehmern die wöchentliche Nutzungsdauer zu. Bei den gleichaltrigen Mädchen hingegen sank sogar die Zahl der Stunden pro Woche leicht.

Hinsichtlich der konsumierten Inhalte bzw. der digitalen Aktivitäten wurden die fünf Kategorien Kommunikation, Unterhaltung, Information, Computerspiele und Einkaufen herausgearbeitet. Besonders stark werden von den jungen Menschen die Möglichkeiten der Kommunikation und Unterhaltung genutzt. So kommunizierten ca. 84% der 12- bis 17-Jährigen und ca. 94% der 18- bis 25-Jährigen digital. Zwischen 76% und 85% der Befragten nahmen Angebote aus dem Bereich Unterhaltung in Anspruch. Ebenso bedeutungsvoll ist das Internet für die Befragten als Informationsquelle. Je nach Altersgruppe beziehen zwischen 48% und 74% der Studienteilnehmer*innen ihre benötigten Informationen z. B. per Wikipedia, Google, YouTube oder Nachrichtenportal aus dem Internet. Kaum von Bedeutung scheint das Onlineshopping für die befragten Altersgruppen zu sein. So bestellten bei den unter 18-Jährigen lediglich 0,4% online. Bei den Teilnehmer*innen über 18 Jahre kaufte jede*r Hundertste im Internet ein. Der Bereich Gaming erfreut sich weiterhin großer Beliebtheit. Etwa jeder dritte junge Mensch nutzt digitale Spiele. Mit zunehmendem Alter ist die Nutzung leicht rückläufig und nur knapp jeder Vierte gab an, elektronische Endgeräte zum Spielen zu verwenden.

Insgesamt wird deutlich, dass Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sich in den ihnen eröffnenden digitalen Räume intensiv aufhalten. Durch höhere Verfügbarkeit und steigende Nutzungsdauer erhöht sich allerdings auch die Gefahr, ein riskantes Konsumverhalten oder gar eine Abhängigkeitserkrankung zu entwickeln. Mit Hilfe der Compulsive Internet Use Scale (CIUS), einem Diagnoseinstrument zur Einschätzung sowie Bewertung von computerspiel- und internetbezogenen Störungen, wurde ersichtlich, dass ca. 60% der 12- bis 17-Jährigen und ca. 70% der 18- bis 25-Jährigen der Befragten einen gesunden Umgang mit digitalen Medien pflegen. Jedoch stieg auch der Anteil der jungen Menschen mit einer computerspiel- und internetbezogenen Störung seit 2011 von durchschnittlich ca. 2,65% auf durchschnittlich ca. 5,85%. Damit hat sich die Zahl der Betroffenen in den letzten neun Jahren mehr als verdoppelt. Je nach Lebensalter und Geschlecht variiert auch die Zahl der erkrankten jungen Menschen. So scheint diese moderne Störung besonders bei jungen Mädchen und Frauen aufzutreten. Hier lag der Anteil der Betroffenen unter den Befragten bei 8,6% bzw. 5,1%, während bei den männlichen Altersgenossen die Merkmale der Störung bei 6,7% bzw. 3,2% zutrafen. Bei einem weiteren Drittel aller Studienteilnehmer*innen scheint eine problematische Nutzung vorzuliegen, die unter bestimmten Umständen in eine computerspiel- oder internetbezogene Störung umschlagen könnte.

Die puren Zahlen wirken alarmierend und verführen dazu, leicht in Panik zu geraten. Vor diesem Hintergrund ist es zwingend notwendig, die Statistiken in den Lebenskontext von Kindern und Jugendlichen einzubetten sowie im Verhältnis zu realen Erfahrungen zu bewerten. Neben den Onlineaktivitäten sollten die weiteren anderen Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen außerhalb von Schule Berücksichtigung finden4. Laut der JIM Studie 20202 treiben ca. zwei Drittel der jungen Menschen regelmäßig wöchentlich Sport und ca. 35% von ihnen lesen ein Buch. Der zuletzt genannte Wert ist seit mehr als zehn Jahren stabil3.

Des Weiteren sind die technische Entwicklung und die damit verbundenen erweiterten Möglichkeitsräume zu betrachten. Wie die JIM Studien der vergangenen Jahre zeigen, ist z. B. der Zugang junger Menschen zum Internet und der Besitz von entsprechenden mobilen wie stationären Endgeräten in den einzelnen Haushalten auf nahezu 100% angewachsen (vgl. JIM Studie 2020). Damit hat mittlerweile fast jedes Kind oder Jugendliche Zugang zu digitalen Angeboten. Die Nutzung von klassischen Medien, wie z. B. dem Fernsehen hat sich ebenfalls verändert. An dessen Stelle sind Streamingdienste, YouTube und andere Onlineangebote getreten. Gleiches gilt für das Hören von Musik. Neben der typischen CD und dem MP3-Player nutzen immer mehr Menschen die Möglichkeit, ihre Lieblingsmusik per Smartphone oder über Dienste wie Spotify zu konsumieren. Dadurch erhöht sich natürlich automatisch die Nutzungsdauer von internetfähigen Endgeräten. Virtualität und Realität durchdringen sich und können nicht als zwei getrennte Welten betrachtet werden4. So ist es bei der Bewertung der oben genannten Zahlen wichtig, genau zu unterscheiden, was es heißt, online zu sein und welche Angebote in welcher Art und Weise genutzt werden. Wenn die Beschäftigung mit digitalen Medien den einzigen Lebensinhalt darstellt, ist sicherlich verstärkt Vorsicht geboten, als wenn sie einen Teil der Freizeitbeschäftigung ausmacht4. Auf der anderen Seite ist es gerade dem Jugendalter vorbehalten, sich auszutesten, temporär Grenzen zu überschreiten und exzessiv zu leben, um im Ergebnis das individuelle gesunde Maß für sich selbst zu finden5. Frau Prof. Dr. med. Heidrun Thaiss, Leiterin der BZgA, ordnet die Ergebnisse wie folgt ein:

„Nicht jeder Hinweis auf eine exzessive Mediennutzung sollte pathologisiert werden. Gleichwohl dürfen die Suchtrisiken von digitalen Spielen sowie eine mögliche Verknüpfung mit Glücksspielen nicht verharmlost werden. Die Studiendaten bestätigen, wie wichtig es ist, Jugendlichen die Risiken der exzessiven Nutzung von Internet, Smartphones und Computerspielen aufzuzeigen. Darüber hinaus gilt es, Eltern und andere erwachsene Bezugspersonen für ihre Vorbildrolle für Kinder und Jugendliche zu sensibilisieren.“6

Damit benennt die Leiterin der BZgA auch die zukünftige Aufgabenstellung und Herausforderung für z. B. die offene Kinder- und Jugendarbeit. Die Fachkräfte begleiten junge Menschen in ihren Lebenswelten und vermitteln u. a. Kompetenzen, mit denen die Kinder und Jugendlichen sich bestmöglich entwickeln können. Gleichzeitig stehen die Fachkräfte vor einem Dilemma. Alexander Markowetz, von 2009 bis 2016 Juniorprofessor für Informatik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, beschreibt die besondere Situation anhand der klassischen Wissensvermittlung in Schule:

„Also wir laufen erst los und sind dabei das eigentlich erst auszuprobieren. Das wiederum macht es für Schule sehr schwierig, weil: Was soll ich dem Kind denn jetzt unterrichten? Also eine Pädagogik geht davon aus, dass wir wissen, dass zwei plus zwei vier ist. Und die Frage ist jetzt nur, wie kriege ich es jetzt in dieses Kinderhirn rein? […] Also wenn ich schon keine kluge Strategie hab‘: Was soll ich jetzt unterrichten?“7

Das heißt, um neben den klassischen Lebenskompetenzen Kindern und Jugendlichen die ebenso wichtigen Medienkompetenzen zu vermitteln, besteht die Notwendigkeit sich als Fachkraft im Bereich der digitalen Medien fachlich mit deren Wirkweisen, Funktionen, Möglichkeiten, Chancen und Risiken auseinanderzusetzen. Erst wenn das eigene Wissen und die eigene Haltung zum Thema erweitert sowie gebildet wurde, wird es möglich sein, mittels geeigneter Methoden und Angebote, junge Menschen bei deren Entwicklung in diesem Bereich bedarfsgerecht zu begleiten.

Die AGJF Sachsen, als Dach- und Fachorganisation für Jugendarbeit und Jugendhilfe, möchte die Jugendarbeiter*innen bei dieser Herausforderung unterstützen und praktische Hilfestellung geben. Neben der Möglichkeit individuelle Beratung zu den Themen digitale Balance sowie Medienkompetenz in Anspruch zu nehmen, hält das druckfrische Fortbildungsprogramm für das Jahr 2021 eine eigene Medien-Seminarreihe vor:

 

 

 

 

 

 

Ansprechpartner*innen zum Thema

Anja Kölbel
E-Mail: koelbel@agjf-sachsen.de
Telefon: (0371) 5 33 64 - 21

André Dobrig
E-Mail: dobrig@agjf-sachsen.de
Telefon: (0371) 5 33 64 - 18

 

1 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.). Forschungsbericht / Dezember 2020: Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2019. Teilband Computerspiele und Internet https://www.bzga.de/fileadmin/user_upload/PDF/studien/Drogenaffinitaet_Jugendlicher_2019_Teilband_Computerspiele_u_Internet.pdf

2 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest: Jugend, Information, Medien (JIM) Studie 2020 https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2020/JIM-Studie-2020_Web_final.pdf

3 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest: Jugend, Information, Medien (JIM) Studie 2018 https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2018/Studie/JIM2018_Gesamt.pdf

4 Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.). Buermann, Uwe: Kinder und Jugendliche zwischen Virtualität und Realität. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Neue Medien – Internet - Kommunikation, Bonn, 2008 https://www.bpb.de/system/files/pdf/OUOX87.pdf

5 Max-Planck-Gesellschaft (Hrsg.). Van den Bos, Wouter: Risikoverhalten von Jugendlichen: Ab ins Ungewisse. Die Suche nach neuen Erfahrungen treibt Teenager an, Berlin, 2017 https://www.mpg.de/10971887/risikobereitschaft-jugendliche

6 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.). Pressemitteilung vom 15.12.2020: Neue BzgA-Studiendaten zur Computerspiel- und Internetnutzung, Berlin, 2020 https://www.bzga.de/presse/pressemitteilungen/2020-12-15-neue-bzga-studiendaten-zur-computerspiel-und-internetnutzung/

7 Markowetz, Alexander: Interview zum Buch „Digitaler Burnout“. In: stadtgottes online, YouTube, 2016 https://www.youtube.com/watch?v=hYazTAPMZqE

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