7 Dinge, die Fachkräfte über Digitale Jugendarbeit wissen müssen

Digitale Jugendarbeit gewinnt gerade enorm an Bedeutung. Für viele Kolleg*innen ist es angesichts der derzeitigen Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen die einzige Form, mit ihren Adressat*innen in Verbindung zu treten. Die Erfahrungen mit digitaler Jugendarbeit in der Fachpraxis scheinen dabei aber recht unterschiedlich. Auf der Grundlage eines aktuellen Forschungsbericht zum Thema „Offene Jugendarbeit in einer digitalisierten und mediatisierten Gesellschaft“ (PDF) aus Österreich, fassen wir hier ein paar der wichtigsten Eckpunkte zusammen, die Fachkräfte zum Thema wissen müssen.

1. Digitale Jugendarbeit ist essentieller Bestandteil von Jugendarbeit

Auch wenn die aktuelle Aufmerksamkeit für das Thema der Ausnahmesituation geschuldet scheint: Digitale Jugendarbeit ist nicht nur Ersatz und Übergangslösung für Krisenzeiten. Lebensweltorientierung als leitendes Prinzip der (Offenen) Jugendarbeit meint auch die Anerkennung der Verschränkung von digitalen und analogen Lebenswirklichkeiten junger Menschen, die selbstverständlich mit sozialen Medien aufwachsen und sich in ihnen bewegen. Damit gehen neue und vielfältige Möglichkeiten für die persönliche und soziale Entwicklung junger Menschen einher und Herausforderungen kommen dazu. Jugendliche begegnen problematischen Inhalten und der direkten Ansprache durch antidemokratische Akteure. Nicht zufällig. Digitale Kanäle eignen sich besonders zur Verbreitung von Hassbotschaften. Junge Menschen können auf der Suche nach Orientierung empfänglich für Propaganda sein. Und sie sind viel im Netz unterwegs. Mit Blick auf den fachlichen Auftrag von Jugendarbeit zu demokratischer Bildung, kommt der Beschäftigung mit Hass und Hetze im Netz also eine besondere Bedeutung zu.

  2. Digitale Jugendarbeit findet sowohl in als auch mit Medien statt

Die Einsatzformen digitaler Jugendarbeit sind vielfältig und können in virtuellen aber auch analogen Räumen stattfinden. Sie lassen sich grob in solche unterscheiden, in denen digitale Medien zum Inhalt der pädagogischen Arbeit gemacht werden (medienbezogen) und solche Formen, in denen sie das pädagogische Arbeitsinstrument darstellen (medienvermittelt).

In der Praxis finden medienbezogene Interventionen, die die Jugendlichen im (kritischen) Umgang mit Medien stärken sollen, derzeit vor allem offline stattfindet. Dabei spielen anlassbezogener „Awareness-Interventionen“ in der alltäglichen Kommunikation mit den Jugendlichen die größte Rolle, z.B. wenn durch unreflektiertes Posten von Bildern aus der Einrichtung Datenschutzaspekte verletzt werden oder über digitale Medien problematische Inhalte in die Räume der Jugendarbeit hereingetragen werden. Online-Interventionen werden demgegenüber seltener gesetzt und dann meist über persönliche Nachrichten. Medienbezogene Jugendarbeit meint auch, die Vermittlung von Kompetenzen und Techniken, um mediale Produkte selber zu gestalten, also z.B. Videos, Podcasts, Blogs etc.

Medienvermittelte Offene Jugendarbeit beinhaltet zum einen die Nutzung digitaler Medien zur Informationsbeschaffung und –verbreitung, zum anderen die Kommunikation über digitale Medien im virtuellen Raum. Über Facebookseiten und Instagram-Accounts teilen Jugendeinrichtungen z.B. Informationen zu ihren Veranstaltungen und Angeboten oder beziehen Stellung zu aktuellen Themen. Direkte Interaktion mit den Jugendlichen (durch teilen, liken oder kommentieren) findet hier laut Forschungsbericht wenig statt. In der Erfahrung der österreichischen Fachkräfte eignen sich Messengerdienste wie Whatsapp besser, niedrigschwellig Kontakt zu den Jugendlichen außerhalb der Einrichtung zu halten, Absprachen zu treffen oder Erstberatung bei Problemen zu leisten.

3. Dimensionen sozialer Ungleichheit beeinflussen digitale Teilhabechancen der Jugendlichen

Nicht für alle Jugendlichen, sind die Zugänge zu digitalen Räumen und die Möglichkeiten sich in ihnen zu bewegen bzw. diese auch mitzugestalten gleich. Sozio-ökonomische Faktoren, Geschlecht oder Rassismuserfahrungen beeinflussen nicht nur die Verfügbarkeit über technische Möglichkeiten sondern auch, mit welchen Kompetenzen sich Jugendliche in virtuelle Räume einbringen können, ob diese Räume als relativ sichere Experimentierfelder oder als unsichere Räume von Ausgrenzung und Abwertung wahrgenommen werden oder wer für welche Themen Anerkennung erwarten kann und wer eher nicht. Hierfür brauchen Fachkräfte eine hohe Sensibilität für eine inklusive digitale Jugendarbeit.

4. Digitale Jugendarbeit ist demokratische Bildung und Präventionsarbeit

Jugendarbeiter*innen, die Ablehnungshaltungen ihrer Adressat*innen nicht nur im Einrichtungsalltag sondern auch im virtuellen Raum wahrnehmen, können Aussagen oder Vorkommnisse zum Anlass für Nachfragen, Diskussionen und demokratische Positionierungen nehmen. Das allgemeine Potential von Jugendarbeit als einem Feld für demokratische Bildung/Demokratiebildung kann auch in der medienpädagogische Arbeit genutzt werden, etwa indem in alltäglichen Interaktionen anlassbezogen ein kritischer Umgang mit Informationen aus dem Netz angeregt wird, oder mit gemeinsamen, kreativen Aktionen in sozialen Medien gegen Hate Speech vorgegangen wird.

(Mehr Inspirationen zum Thema „Digitale Zivilcourage“ gibt es auch hier im virtuellen Jugendhaus)

5. Kommunikation in sozialen Medien ist nicht neutral

Soziale Medien bieten keine neutralen Kommunikationsräume und Strukturen. Was und wie kommuniziert werden kann, ist abhängig von der Beschaffenheit und der Funktionslogik des jeweiligen Kommunikationsmediums. Im Forschungsbericht zu digitaler Jugendarbeit in Österreich wird dies am Beispiel von Instagram als Arbeitsmittel gezeigt: Einer vorsprachlichen, emotionalen Bildkommunikation kommt bei Instagram eine besondere Bedeutung zu, mehr noch als bei anderen Plattformen wie z.B. Facebook. Die Bildbotschaften auf Instagram sind aber nicht beliebig. Es geht in besonderer Weise darum, sich selbst zu thematisieren und werbeästhetisch in Szene zu setzen, um letztlich Aufmerksamkeit z.B. in Form von Likes und Followern zu generieren.

Um von ihren Adressat*innen wahrgenommen zu werden, muss auch Jugendarbeit hier nach den vorgegebenen Regeln spielen, also die Prinzipien einer Ökonomie der Aufmerksamkeit beachten. Das birgt unterschiedliche Herausforderungen für Fachkräfte. Die Kommunikation setzt spezifisches Wissen und technisches Know-How voraus, um ansprechende Posts zu gestalten. Andererseits sind mit einer so bedingten Kommunikation Risiken verbunden, z.B. das Datenschutzaspekte oder die Wahrung von Privatsphäre angesichts der Forderung nach Selbstthematisierung verletzt werden können. Oder dass angesichts einfacher, emotionaler Bildbotschaften pädagogische Zielen nach Differenzierung und Anerkennung von Vielschichtigkeit in Debatten konterkariert werden. Deswegen auf die Nutzung der jeweiligen Plattformen zu verzichten greift zu kurz. Immerhin bergen sie auch ein großes Potential, mit den Adressat*innen lebensweltnah im Kontakt zu sein. Das Ziel ist hier also mal wieder Bewusstsein und ein reflektierter Umgang.

6. Mehr Kommunikationskanäle bedeuten mehr Kommunikation

Mal abgesehen von Ausnahmesituationen wie jetzt angesichts der Corona-Pandemie, wird durch Online-Jugendarbeit die pädagogische Arbeit im Offline erfahrungsgemäß nicht ersetzt oder gar obsolet. Das legen auch Ergebnisse des Forschungsberichts nah: kaum eine Einrichtung macht reine Online-Jugendarbeit. Die Gründe dafür wurden teilweise schon aufgeführt: Viele Themen lassen sich aufgrund der unterschiedlichen Beschaffenheit der Kommunikationsmedien online nur einseitig oder unzureichend verhandeln, sowohl wenn es um die Diskussion komplexerer Sachverhalte geht, als auch bei der Beratung zu Problemen oder persönlichen Anliegen. Das Bedürfnis der jungen Besucher*innen für face-to-face Begegnungen bleibt auch bei vermehrten Online-Angeboten der Einrichtungen stark und kann durch digitale Jugendarbeit sogar intensiviert werden. Etwa wenn die aktive Teilnahme von Fachkräften an den Online-Lebenswelten der Jugendlichen sowie die Erhöhung der Ansprechbarkeit dazu führt, das pädagogische Beziehungen zu den Jugendlichen gefestigt werden. Oder wenn Angebote durch die Bewerbung auf Sozialen Medien vermehrt besucht werden.

Das heißt auch: Digitale Jugendarbeit braucht Zeit und macht sich nicht so nebenher. Das gilt einerseits in Hinblick auf die Einarbeitung in (neue) Formate und Plattformen. Aufgrund der Schnelllebigkeit digitaler Medien, kann hier von kontinuierlichen Weiterlernen anstatt einmaliger Qualifizierung ausgegangen werden. Andererseits müssen Posts verfasst, Diskussionen moderiert und Anfragen im Messenger auch beantwortet werden, was je nach Beschaffenheit und Rahmen des Kommunikationsmediums (s. Abschnitt vorher) unterschiedlich viel Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen kann.

7. Kollegialer Austausch und klare Absprachen gegen Entgrenzung

Digitale Jugendarbeit in Sozialen Medien birgt in unterschiedlicher Hinsicht Risiken der Entgrenzung. Zum einen findet Kommunikation hier üblicherweise rund um die Uhr statt und in der Erwartung, dass Nachrichten innerhalb kurzer Zeit beantwortet werden. Wie können sich Fachkräfte hier abgrenzen, um zwar als Ansprechpartner*in bei den Jugendlichen wahrgenommen zu werden, aber nicht rund um die Uhr auf Abruf sein zu müssen? Was ist in Notfällen? Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich auch bei der Frage, in welcher Rolle Fachkräfte in Online-Medien vorrangig kommunizieren. Einerseits lässt sich mit persönlichen Posts, die Einblicke in das Privatleben der Personen geben, mehr Aufmerksamkeit bei den jugendlichen Nutzer*innen generieren. Andererseits ist nie ganz abzuschätzen, wer die Posts noch sieht und was mit den Beiträgen und Bildern weiter passiert. Und schließlich stellen sich auch Fragen nach dem fachlichen Nähe-Distanz-Verhältnis neu, etwa hinsichtlich einer proaktiven Kontaktaufnahme und der Angemessenheit der Anteilnahme an den virtuellen Lebenswelten der Jugendlichen: Sollten sich Fachkräfte die Profile von (potentiellen) Adressat*innen anschauen, um sich über deren Interessen zu informieren?

Diese Fragen zeigen: Mit digitaler Jugendarbeit erhöht sich der Reflexionsbedarf im Team und mit Kolleg*innen über Einrichtungsgrenzen hinweg. Einfache Antworten und Rezepte existieren nicht, daher müssen Handlungsoptionen in einem gemeinsamen Reflexionsprozess gefunden werden. Absprachen die hier getroffen werden, sollten dann, so die Empfehlung des Forschungsberichts, in Form von Social-Media-Guidelines für die Einrichtung festgehalten werden, um Orientierung und gemeinsames fachliches Handeln zu ermöglichen.

(Dazu haben z.B. die BAG Streetwork-Mobile Jugendarbeit gemeinsam mit dem LAK Mobile Jugendarbeit Sachsen und der LAG Mobile Jugendarbeit-Streetwork Baden-Württemberg Fachempfehlungen insbesondere zu digitaler aufsuchender Jugendarbeit herausgegeben. Zu finden hier im virtuellen Jugendhaus)

 

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